Es ist keine einfache Situation für die Eltern, wenn das Kleinkind den Papa plötzlich ablehnt. Was tun? Nachgeben oder hart bleiben?
Sie hatten sich so Mühe gegeben, das mit dem Kind gleichberechtigt aufzuteilen. Beide blieben nach seiner Geburt zu Hause, er sogar wesentlich länger als sie.
Später ging das Kind tagsüber in die Kinderkrippe, nachmittags holten sie es abwechselnd ab, verbrachten beide gleich viel Zeit mit ihm und teilten auch Erwerbs- und Hausarbeit
akkurat auf. «Abgesehen vom Stillen kann ich mir keine Unterschiede in der Intensität der Betreuung erklären», schreibt Antonia, Autorin beim Blog «Umstandslos», der sich auch
Magazin für feministische Mutterschaft nennt. «Ja, wir sind unterschiedliche Persönlichkeiten und vielleicht fühle ich mich aufgrund meiner weiblichen Sozialisation mehr für
Nähe und emotionale Fürsorge verantwortlich. Wir haben aber auch von Anfang an versucht, diesen Zuschreibungen entgegenzuwirken.»
«Du nicht!»
Alles umsonst. Seit einigen Monaten torpediert die Tochter das sorgfältig durchdachte System vehement. Sind beide Eltern zu Hause, wird Papa ganz oft abgelehnt.
Will er die 2-Jährige wickeln, anziehen, im Kinderwagen schieben oder ins Bett bringen, brüllt sie los: «Du nicht! Die Mama machts!» Begleitet von Stampfen, Heulen oder sonstigen
Ausdrücken von Wut und Verzweiflung. Das eigene Kind – eine Emanzipationsverhindererin, ein Antifeminist?
Selten ist das nicht, im Gegenteil. Unter Eltern mit Kleinkindern
passiert es immer wieder, dass der Vater zurückgewiesen wird. Zahlen, wie hoch der Prozentsatz der Kinder mit solchem Verhalten ist, können Entwicklungspsychologen keine nennen.
Auf Internetforen und in Facebook-Gruppen wird das Phänomen jedoch rege diskutiert – und im Grundtenor als Phase abgetan. Als überaus herausfordernde.
Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist anfangs intensiver
Doch woran liegt es, dass manche Kinder den Vater plötzlich nicht mehr akzeptieren? Laut Joëlle Gut, Berner Familien-, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin,
spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: «Einerseits hat es die Natur so eingerichtet, dass die Beziehung zwischen der Mutter und dem Baby durch die Schwangerschaft, durch die
Hormonausschüttung während einer Spontangeburt und durch das Stillen auf natürliche Weise begünstigt wird.» Weil die Mutter in den ersten Lebenswochen des Babys meist für die
Erfüllung der Grundbedürfnisse zuständig ist, wird sie als primäre Bezugsperson abgespeichert. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist also in den ersten Monaten intensiver,
sogar wenn der Vater sehr engagiert ist. Eine OECD-Studie zeigt aber auch, dass Väter durchschnittlich weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen als Mütter.
Geschrei geht ans Herz
Ob ein Kind in den ersten Lebensjahren den Vater einige Zeit intensiv ablehnt, hängt jedoch auch mit anderen Faktoren zusammen:
Ist das Kind «mammrig», wie ein Autor von «Zeit online» es treffend nennt, haben die Eltern zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Nachgeben oder hart bleiben.
«Vielleicht will das Kind nur testen, wie weit es gehen kann.»
Antonia schreibt im «Umstandslos»-Blog, dass beiden Eltern das Geschrei der Tochter zu Herzen geht: «Ich denke mir nach sehr kurzer Zeit, dass meine
Belastung, dieses Schreien auszuhalten, grösser ist als der Energieaufwand, sie ins Bett zu bringen. Wir geben sozusagen auf. Ich bringe sie ins Bett, wir Eltern sind frustriert,
das Kind ist zufrieden.» Andere Eltern wollen davon nichts wissen. «Vielleicht will das Kind nur testen, wie weit es gehen kann und ob es wirklich diktieren kann, wer was mit ihm
macht», kommentiert eine Mutter den Blog. Auch Joëlle Gut findet es gefährlich, wenn dem Kind zu oft nachgegeben wird. Es gehöre zur normalen Persönlichkeits- und Identitätsfindung,
dass das Kind seinen Willen gegen den der Eltern durchsetzen wolle: «Wenn ich als Elternteil hier nachgebe, dann verliere ich an Autorität und das Kind lernt, dass es sein Ziel mit
Toben und Schreien erreicht.»
Am gleichen Strick ziehen
Damit kein unerfreulicher Machtkampf zwischen Eltern und Kind entsteht, lohnt es sich, wenn die Eltern die Situation gemeinsam anschauen und sich überlegen, wie
wichtig ihnen ist, dass der Vater gewisse Dinge mit dem Kind macht. Geht es einzig ums Prinzip oder braucht die Mutter die Zeit wirklich für sich? In den allermeisten Fällen hat
das Kind kein Problem damit, dass der Vater Windeln wechselt und Gutenachtgeschichte erzählt, wenn die Mutter nicht hier ist und es gar keine andere Wahl hat. Wird dem Kind erklärt,
wieso die Mama jetzt nicht zuständig sein kann – weil sie noch etwas erledigen muss oder sich einfach zu erschöpft fühlt, einen Spaziergang machen will oder sich mit jemandem
trifft – dann fällt es dem Kind einfacher, dies zu akzeptieren. Gute Erfahrungen machen Eltern auch damit, im Voraus anzukündigen, dass heute Papa-Abend ist und die Mama weggeht.
«Wichtig ist, dass die Eltern am gleichen Strick ziehen», sagt Joëlle Gut.
Nicht einfach ist die Situation auch für den Vater. Dass Kinder manchmal gerne wählen, wer ihnen
die Zähne putzt oder sie ins Bett bringt, ist normal. Wenn der Vater jedoch vom 3-jährigen Sohn hört: «Ich komme nicht zum Frühstück, der Papa muss erst weg», tut das weh, vor allem
wenn es wiederholt vorkommt. Manche Väter reagieren beleidigt oder sogar eifersüchtig und nennen das Kind ein «Mami-Titti». Das verschlimmert die Situation unnötig und treibt unter
Umständen einen Keil zwischen die Partner. Verstecken muss jedoch der Vater seine verletzten Gefühle nicht. «Authentisch sein heisst zu kommunizieren, dass es einen persönlich
getroffen hat, was das Kind gerade gesagt hat. Auch die Mutter kann dem Kind erklären, dass sie es nicht schön findet, wie es den Vater behandelt.»
Deine Zähne sind mir egal
In manchen Fällen mag die Ablehnung ein Ansporn sein, sich zu fragen, ob man als Vater genug präsent ist oder möglicherweise den Beruf zugunsten der Familie
zurückstecken will. «Gerade die Anfangsmonate und -jahre sind wegweisend für die Beziehungsgestaltung», so Joëlle Gut. Wer es schafft, mit Humor zu reagieren, erreicht beim Kind
vielleicht sogar einen ungeahnten Meinungsumschwung. Eines Abends liess sich der «Zeit online»-Autor nach dem Essen aufs Sofa fallen und meinte: «Weisst du, Luise, ich will dir
gar nicht die Zähne putzen. Nie wieder. Deine Zähne sind mir egal. Die können ruhig schlecht werden. Ich will dich auch nicht ins Bett bringen. Ich bleibe einfach hier sitzen und lese.
Heute Abend, morgen Abend und immer!» – «Nein!», heulte Luise auf. «Nein! Papi, komm, Zähne putzen!»
Quelle: «wireltern» / Text: Veronica Bonilla Gurzeler 16. Mai 2016